Psychische Erkrankungen - Somatoforme Störung

Somatoforme Störungen sind psychische Erkrankungen, bei denen die Betroffenen über körperliche Beschwerden klagen, für die es keine ausreichende medizi­nische Erklärung gibt. Selbst wenn Ärztinnen und Ärzte körperliche Störungen finden, erklären diese nicht die Art und das Ausmaß der empfundenen Symptome. In Deutschland erhalten dreimal so viele Frauen wie Männer die Diagnose von somatoformen Störungen betroffen zu sein.
 

Ursachen einer somatoformen Störung

Eine somatoforme Störung entwickelt sich über Jahre und ist die Folge von verschiedensten körperlichen, psychischen und sozialen Ursachen, die alle zusammen­wirken. 

Medizinerinnen und Mediziner vermuten als mögliche Ursache zum Beispiel eine erbliche Veranlagung oder traumatische Erlebnisse in der Kindheit, wie zum Beispiel mangelnde Fürsorge, Missbrauch und Gewalt oder auch körperliche oder psychische Erkrankungen der Eltern. Besonders lang­anhal­tende, traumatische Belas­tungen haben einen nachweisbaren Einfluss auf bestimmte körperliche Funktionen. Mangel an sozialer Unterstützung, berufliche Unzufriedenheit oder Stress am Arbeitsplatz, die Pflege eines Familienmitgliedes sowie Probleme in der Familie oder in der Partnerschaft können die Störung noch verstärken.

Bei Betroffenen, die an Schmerzen leiden, konnten Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass das erhöhte Schmerzempfinden auf eine veränderte Schmerz­verarbeitung im Gehirn zurückzuführen ist. Auch die Aktivität bestimmter Hormone kann sich aufgrund traumatischer Ereignisse verändern. Vielfach haben Betroffene auch eine veränderte Körperwahrnehmung. Sie nehmen normale körperliche Vorgänge intensiver wahr als andere Menschen. Häufig interpretieren sie daher gesundheitliche Beschwerden als Anzeichen einer ernsthaften körperlichen Erkrankung.

In vielen Fällen verstärken sich die Beschwerden, je intensiver sich eine Person mit ihnen beschäftigt. Darüber hinaus versuchen viele Betroffene, sich körperlich zu schonen, wodurch sich der körperliche Zustand meist noch mehr verschlechtert und so - wie in einem Teufelskreis - weitere Beschwerden entstehen. Ein weiterer Teufelskreis entsteht, wenn sich Patientinnen von ihrer Ärztin / ihrem Arzt nicht ernstgenommen fühlen in ihren Beschwerden. In diesen Fällen suchen die betroffenen Frauen häufig wiederholt verschiedene Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen auf. Diese führen wiederum vielfältige diagnostische Verfahren bis zu wiederholten operativen Eingriffen durch. Dadurch können tatsächlich körperliche Ursachen für Schmerzen entstehen. Gefühle der Frustration, Angst und Hilflosigkeit, die entstehen, wenn Erklärungsversuche für die Beschwerden ausbleiben oder als unzureichend empfunden werden, können die Symptome zusätzlich verstärken.

Auch wenn die endgültigen Ursachen für diese Störung noch unklar sind, ist entscheidend, dass die Beschwerden von den Betroffenen wirklich erlebt werden und ernst genommen werden müssen.

Anzeichen einer somatoformen Störung

Die meisten Menschen klagen hin und wieder über unklare körperliche Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen oder Verdauungsprobleme. Bei der somato­formen Störung halten diese Beschwerden jedoch über einen längeren Zeitraum an. Betroffene wenden sich mit ihren Symptomen dann häufig an verschiedene Ärztinnen und Ärzte, die ihnen versichern, dass die Symptome körperlich nicht begründbar sind. Dennoch lassen die Symptome den Betroffenen keine Ruhe. Der Leidensdruck bei somatoformen Störungen ist sehr hoch und Betroffene fühlen sich im Alltag enorm beeinträchtigt. 

Viele Frauen mit einer somatoformen Störung berichten besonders häufig über Beschwerden wie

  • Schmerzen, z.B. in Kopf, Bauch, Rücken oder Gelenken
  • Müdigkeit
  • Erschöpfung
  • Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
  • Häufiges Wasserlassen
  • Druckgefühl in der Herzgegend
  • Herzklopfen und Herzrasen
  • Schweißausbrüche und Hitzewallungen
  • Atemnot
  • Neurologische Symptome (Sehstörungen, Lähmungen, Schluckschwierigkeiten)

In einigen Fällen haben die betroffenen Frauen auch mehrere körperliche Beschwerden. Frauen mit somatoformen Störungen leiden zudem häufig an weiteren psychischen Erkrankungen, beispielsweise Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen. Oft treten bestimmte Beschwerden wie das Reizdarmsyndrom auch in Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen wie Morbus Crohn auf.

Formen von somatoformen Störungen

Je nach Art der Beschwerden unterscheiden Ärztinnen und Ärzte unterschiedliche Arten von somatoformen Störungen.

Bei der Somatisierungsstörung leiden Betroffene mindestens zwei Jahre unter vielen unterschiedlichen Körperbeschwerden, für die sich keine ausreichende medizinische Erklärung findet. Beispielsweise können sie nicht richtig atmen, sie verspüren einen Kloß oder eine Enge im Hals, oder sie berichten über Stiche, Druck- oder Beklemmungsgefühle in der Brust oder ständige Unterbauchschmerzen. Die Symptome können sich auf jeden Körperteil und jedes System des Körpers beziehen. Die Erkrankung entwickelt sich langsam und kann über einen längeren Zeitraum andauern und chronisch werden.

Bei einer Schmerzstörung leiden die Betroffenen unter anhaltenden Schmerzen in einer Körperregion. Häufig liegen den Schmerzen eine ursprüngliche körperliche Ursache zu Grunde wie etwa ein Band­schei­ben­vorfall. Die Schmerzen dauern jedoch auch nach einer erfolg­reichen Behandlung weiter an.

Von einer Hypochondrie sprechen Ärztinnen und Ärzte, wenn sich Menschen beharrlich mit der Möglichkeit beschäftigen, sie könnten an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Erkrankungen leiden. Die Betroffenen zeigen tatsächlich anhaltende körperliche Beschwerden oder beobachten sämtliche körperliche Veränderungen genau und führen sie auf eine schwere Krankheit zurück.

Diagnose von somatoformen Störungen

Eine Ärztin oder einen Arzt sollten Sie immer dann aufsuchen, wenn Ihre Beschwerden anhalten, schlimmer werden, immer wieder kommen oder Sie sich beson­ders beeinträchtigt oder belastet fühlen. In den meisten Fällen ist die Hausärztin oder der Hausarzt eine erste Anlaufstelle. Mit einer körperlichen Untersuchung wird Ihre Ärztin / Ihr Arzt zunächst andere Erkrankungen, die eine Ursache für Ihre Beschwerden sein können, ausschließen. Bei einem ausführlichen Gespräch wird sie/er sich unter anderem auch nach Ihren aktuellen Lebensumständen, möglichen Belastungen oder anderen vorliegenden psychischen Erkrankungen erkundigen. Kann Ihre Ärztin / Ihr Arzt keine körperliche Ursache für Ihre Beschwerden finden, sollten Sie gemeinsam über die weitere Vorgehensweise entscheid­en.

Behandlung von somatoformen Störungen

Während der Therapie geht es insbesondere darum festzustellen, wie die Beschwerden sich auswirken und wodurch sie begünstigt werden. Die Behandlung somatoformer Störungen richtet sich nach dem Verlauf. 

  • treten nur wenige Beschwerden auf
  • gibt es Zeiten, in denen Sie beschwerdefrei sind
  • ist Ihre Lebensqualität nicht zu stark beeinträchtigt
  • liegen keine anderen psychischen Störungen vor
  • besteht ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis

In diesen Fällen können Sie gemeinsam mit Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt einen Therapieplan entwickeln. Viele Hausärztinnen und -ärzte besitzen die Zusatzqualifikation „Psychosomatische Grundversorgung“ und sind auf diesem Gebiet erfahren.

Wenn Sie von einer somatoformen Störung betroffen sind, ist es sehr wichtig, dass Sie sich aktiv an der Therapie beteiligen. Zum Beispiel sollten Sie versuchen, Ihren Körper trotz der Beschwerden langsam wieder zu belasten und eine bestehende Schonhaltung zu durchbrechen. Setzen Sie sich kleine Ziele, die Sie ohne viel Mühe erreichen können und bleiben Sie so motiviert. Darüber hinaus können Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel Autogenes Training oder Atemübungen helfen, dass sich die Beschwerden nicht durch Angst und damit verbundene erhöhte Muskelspannung verstärken. Zusätzlich können Sie auch verschiedene Hausmittel wie Wärmflaschen, Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin wie die Akupunktur oder Homöopathie ausprobieren. Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt über eventuelle Nebenwirkungen bei zusätzlichen Behandlungsmethoden und die möglichen Kosten.

  • mehrere Beschwerden, die häufig über einen länger anhaltenden Zeitraum auftreten
  • starke gesundheitsbezogene Ängste sowie Schon- und Vermeidungsverhalten
  • eingeschränkte Lebensqualität einhergehend mit sozialem Rückzug und Niedergeschlagenheit
  • weitere psychische Störungen (Depressionen, Angststörungen)
  • ein schwieriges Arzt-Patienten-Verhältnis

Ist der Erkrankungsverlauf schwerer, reicht die Betreuung durch die Hausärztin oder den Hausarzt möglicherweise nicht aus. In diesen Fällen kann eine Psycho­therapie, zum Beispiel durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, gute Erfolge erzielen.

Gemeinsam mit der Therapeutin oder dem Therapeuten werden während der Behandlung die Ursachen der Beschwerden sowie Lösungsstrategien erarbeitet. Dadurch können die Beschwerden besser eingeordnet und ein hilfreicherer Umgang mit ihnen gefunden werden. In manchen Fällen kann auch eine gezielte körper­liche Aktivierung durch Ausdauertraining, Rückenschule und auch Krankengymnastik ein wichtiger Bestandteil der Behandlung sein.

Medikamente

Geht die festgestellte Störung mit Schmerzen einher, können je nach der Stärke der Beschwerden oder zum Beispiel in der Anfangsphase der Psychotherapie zusätzlich Medikamente zum Einsatz kommen, die die Symptome lindern. Bestimmte Schmerzmedikamente aber auch Schlaf- und Beruhigungs­mittel können abhängig machen. Sie sollten daher immer mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt oder Ihrer Psychotherapeutin/Ihrem Psychotherapeuten besprechen, ob und in welchem Umfang Medikamente bei Ihnen sinnvoll sind.

Was Sie selbst tun können

Der erste und wichtigste Schritt, den Sie selbst tun können, ist, sich bei länger bestehenden Beschwerden an Ihre Ärztin oder Ihren Arzt zu wenden. Diese/Dieser sollte Ihre Beschwerden ernstnehmen. Falls es Sie beruhigt, nehmen Sie zu Ihrem Arzttermin jemanden mit, der Sie unterstützt. Darüber hinaus können auch Sie selbst einiges tun, um Ihre Beschwerden günstig zu beeinflussen:

  • Versuchen Sie trotz Ihrer Beschwerden den Alltag so gut und so aktiv wie möglich zu bewerkstelligen.
  • Nutzen Sie jede Gelegenheit für körperliche Bewegung.
  • Gönnen Sie sich nach Phasen der Aktivität ausreichend Entspannung. Entspannungstechniken wie Yoga oder die Progressive Muskelentspannung haben sich bei vielen Frauen als hilfreich erwiesen.
  • Lenken Sie sich ab und nehmen Sie am gesellschaftlichen Leben teil. Das lässt die körperlichen Beschwerden stärker in den Hintergrund rücken.
  • Pflegen Sie Ihre Interessen und Hobbies. Stellen Sie sich dabei die Frage, was Ihnen besonders guttut, wo Sie sich besonders wohl fühlen und mit wem Sie besonders gerne Zeit verbringen.

Vielleicht hilft es Ihnen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Selbsthilfegruppen können Sie bei der Bewältigung Ihrer Erkrankung unterstützen. Adressen erhalten Sie von Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt. Bei der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) bekommen Sie Adressen von Selbsthilfegruppen in Ihrer Nähe.

Aktionsbündnis Seelische Gesundheit (o.J.). Reden hilft. www.seelischegesundheit.net/wissen/stigma/; letzter Zugriff: 21.06.2024

Hapke, U., Robert Koch Institut (RKI) Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring (2015). Psychische Gesundheit in der Bevölkerung - Aktuelle Daten und Hintergründe. www.bfr.bund.de/cm/343/psychische-gesundheit-in-der-bevoelkerung-aktuelle-daten-und-hintergruende.pdf (PDF, 826 KB, barrierearm); letzter Zugriff: 21.06.2024

Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM), Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin e.V. (DKPM) (2018). S3-Leitlinie Funktionelle Körperbeschwerden. AWMF-Register-Nummer 051-001. www.awmf.org/leitlinien/detail/051-001; letzter Zugriff: 21.06.2024

Jacobi, F., Höfler, M., Strehle, J. et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt 87: 88. doi.org/10.1007/s00115-015-4458-7; letzter Zugriff: 21.06.2024

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Letzte Aktualisierung: Juni 2024