Medikamente
Missbrauch und Abhängigkeit
Jährlich werden in Deutschland rund 1,3 Milliarden Arzneimittelpackungen verkauft, von denen etwa 40 Prozent nicht rezeptpflichtig sind. Vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen ein Missbrauchs- und bzw. oder Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem die verschreibungspflichtigen Schlaf- und Beruhigungsmittel.
Unterschied nicht-bestimmungsgemäßer Gebrauch / Missbrauch / Abhängigkeit
Grundsätzlich werden folgende Formen der missbräuchlichen Anwendung von Fertigmedikamenten unterschieden:
- der nicht-bestimmungsmäßige Gebrauch
- der schädliche Gebrauch bzw. Missbrauch
- die Abhängigkeit
Der nicht-bestimmungsgemäße Gebrauch wird von den Konsumentinnen und Konsumenten als hedonistischer Konsum („Spaßkonsum“) betrieben, ohne dass Hinweise auf einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit bestehen. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass auch bei einem hedonistischen Konsum bereits unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auftreten können.
Für den Missbrauch geben allgemein anerkannte Diagnose-Klassifikationssysteme die folgenden konkreten Kriterien an, die zur Diagnostik erfüllt sein müssen:
a) Ein unangepasstes Muster von Substanzgebrauch führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens eines der folgenden Kriterien innerhalb desselben zwölf-Monats-Zeitraums manifestiert:
- Wiederholter Substanzgebrauch, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt (z. B. wiederholtes Fernbleiben von der Arbeit und schlechte Arbeitsleistungen in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch, Schulschwänzen, Einstellung des Schulbesuchs oder Ausschluss von der Schule in Zusammenhang mit Substanzgebrauch, Vernachlässigung von Kindern und Haushalt).
- Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z. B. Alkohol am Steuer oder das Bedienen von Maschinen unter Substanzeinfluss).
- Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch (z. B. Verhaftungen aufgrund ungebührlichen Betragens in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch).
- Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen der psychotropen Substanzen verursacht oder verstärkt werden (z. B. Streit mit dem Ehegatten über die Folgen der Intoxikation, körperliche Auseinandersetzungen).
b) Die Symptome haben niemals die Kriterien für Substanzabhängigkeit der jeweiligen Substanzklasse erfüllt.
Die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ sollte nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien vorhanden waren:
- Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
- Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.
- Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahen verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
- Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (…).
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
- Anhaltender Substanzgebrauch trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen wie z. B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Substanzkonsums oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. Es sollte dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.
Der Abhängigkeit geht in der Regel ein Missbrauch voraus, wohingegen ein Missbrauch nicht zwangsläufig in einer Abhängigkeit mündet.
Häufig wird eine Medikamentenabhängigkeit von den Betroffenen nicht als solche wahrgenommen. Zum einen, weil Medikamente mit Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial unter die Verschreibungspflicht fallen und somit eine Verordnung durch eine Ärztin/einen Arzt erfolgen muss (der Betroffene sieht mit einer Verordnung die Einnahme als begründet). Zum anderen erleichtert der Zugang (z.B. über das Internet bzw. die Apotheke) die unkontrollierte und nicht-bestimmungsgemäße Anwendung von Medikamenten. Gerade freiverkäufliche bzw. apothekenpflichtige Medikamente wie Nasentropfen und -sprays, Abführmittel oder Schmerzmittel, die keine körperlichen Entzugserscheinungen auslösen, besitzen ein hohes Potenzial nicht-bestimmungsgemäß angewendet zu werden. Betroffene können diesen Fehlgebrauch oft nicht als solchen wahrnehmen oder erkennen.
Wirkstoffe mit Abhängigkeitspotenzial
Sowohl verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Rahmen der Selbstmedikation können ein mehr oder weniger ausgeprägtes Abhängigkeitspotenzial aufweisen.
Präventivmaßnahmen
Vorbeugung (Prävention) beginnt mit Information. Die Präventionsmöglichkeiten in der ärztlichen Praxis setzen auf den sorgfältigen Umgang mit Medikamenten, die ein Missbrauchs- und bzw. oder Abhängigkeitspotenzial haben.
Zusammenfassung
- Medikamente können abhängig machen. Die meisten davon (z.B. Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie starke Schmerzmittel) sind verschreibungspflichtig
- Die missbräuchliche Anwendung wird in „nicht-bestimmungsmäßigen Gebrauch“, „schädlichen Gebrauch bzw. Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ unterschieden
- Häufig erkennen Betroffene nicht, dass sie von Medikamenten abhängig sind - oder sie wollen es nicht erkennen, dass sie ohne das jeweilige Arzneimittel nicht mehr auskommen
- Es gibt einige rezeptfreie und apothekenpflichtige Medikamente, die häufig nicht-bestimmungsgemäß eingenommen werden (z.B. Schmerzmittel, oft mit dem Wirkstoff Koffein, oder auch Abführmittel und abschwellende Nasensprays). Da diese Mittel keine körperlichen Entzugserscheinungen auslösen, nehmen Betroffene einen Missbrauch oft nicht wahr
Letzte Aktualisierung: Mai 2023
Wichtige Informationen
Die Inhalte auf dieser Webseite dienen der allgemeinen Information und ersetzen keinesfalls die Behandlung durch die Ärztin/den Arzt und/oder die Beratung durch die Apothekerin/den Apotheker. Des Weiteren stellen sie keine Empfehlungen oder Bewertungen von Therapieverfahren dar. Im Bedarfsfall sollte immer eine Ärztin/ein Arzt aufgesucht werden.
Broschüre: Frau - Sucht - Gesundheit
Die Broschüre informiert Frauen, wie sie sich vor den Gesundheitsgefahren von Tabak, Alkohol und Medikamenten schützen können.
Handbuch: Gemeinsam mehr erreichen!
Das Handbuch ist das Ergebnis des Projektes „Frauen - Medikamente - Selbsthilfe“. Es bietet neben Informationen rund um Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten auch Literaturtipps, Kontaktadressen und Anlaufstellen.
Leitfaden „Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit“
Der Leitfaden informiert über problematische Arzneimittelgruppen und möchte zu einer frühen Erkennung von Patienten mit einer Abhängigkeitsgefährdung beitragen sowie Hilfestellungen für ihre Behandlung leisten.
PrevNet
Auf dem Portal PrevNet werden Maßnahmen zur Suchtvorbeugung von Bund und Bundesländern miteinander vernetzt, um die Effektivität der Suchtvorbeugung in Deutschland zu erhöhen.
Medikamente - Sicher und sinnvoll gebrauchen
Bei manchen Medikamenten besteht die Gefahr des Missbrauchs und einer Abhängigkeitsentwicklung. Daher lohnt es sich, den persönlichen Gebrauch von Medikamenten von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Die Broschüre der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen gibt praktische Tipps.
Medikamenteneinnahme: Risiken vermeiden
Die Entstehung einer Abhängigkeit können Sie vermeiden, wenn Sie Ihre Medikamente richtig anwenden. Dabei kann Ihnen die sogenannte 4-K-Regel helfen. Die Broschüre der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen bietet Ihnen einen Überblick.