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Innovative App will Betroffenen von Gewalt helfen
Jede dritte Frau hat im Laufe ihres Lebens schon einmal Gewalt erlebt. Die Formen der Gewalt sind dabei vielfältig. Um betroffene Frauen zu unterstützen, hat Stefanie Knaab mit ihrem Team eine App entwickelt. Im Interview berichtet Knaab darüber, wie sie genau helfen will und was sie bereits erreicht hat.
Dass jede dritte Frau Gewalt erlebt, bezieht sich auf körperliche und sexualisierte Gewalt, insbesondere in der Partnerschaft. Wenn weitere Gewaltformen wie wirtschaftliche, soziale, psychische oder digitalisierte Gewalt hinzugenommen, ist sogar jede zweite Frau in Deutschland betroffen.
„Wir alle kennen Betroffene. Und wir alle kennen Täter“, sagt Stefanie Knaab. Es brauche einen umfassenden Schutz für betroffene Frauen und Mädchen – auch für Transfrauen und non-binäre Personen. Deshalb hat sie eine App als innovative Hilfestellung entwickelt.
Frau Knaab, Sie entwickeln eine versteckte App für Smartphones, die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen individuelle und konkrete Unterstützung bietet. Was kann ich mir unter dieser versteckten App genau vorstellen?
Stefanie Knaab: Wir bieten eine App an, in der Betroffene sich geschützt, rund um die Uhr umfassend informieren können. Sie ist nicht als Unterstützungsapp erkennbar. Wir unterstützen den Reflexionsprozess in Form eines Fragebogens und zugeschnittenen Informationen sowie durch ein Gewalttagebuch. Hier können die Betroffenen die Gewalt gerichtsverwertbar dokumentieren. Dies dient nicht nur der Einordnung des Erlebten, sondern kann auch dem Gerichtsprozess dienen, sofern die Betroffene diesen anstrebt. Außerdem informieren wir über die bestehenden Unterstützungsangebote in ihrer Nähe und dienen somit als Brücke in das schon etablierte Hilfesystem. Wir bestärken betroffene Frauen zu Schritten in eine gewaltfreie Zukunft.
2020 gewann Stefanie Knaab bei einem Hackathon der Bundesregierung den Auftrag, ihre App-Idee zu verwirklichen – gemeinsam mit Experten aus Opferschutzverbänden sowie der Rechtsmedizin, der Kriminologie und der Polizei. Damit soll von häuslicher Gewalt Betroffenen ein geschützter und möglichst einfacher Weg geöffnet werden, sich aus ihrer Situation zu befreien. Dafür wurde der Verein „Gewaltfrei in die Zukunft e.V.“ gegründet. Das Bundesjustizministerium förderte die erste Projektphase. Das Bundesinnenministerium fördert diese Projekt seit Oktober 2023 bis Ende 2026 mit insgesamt rund 3,7 Millionen Euro.
In Berlin und Hannover läuft die App bereits als Pilotprojekt. Gibt es schon erste Erfahrungen, die Sie in ihrem Projekt bestätigen oder auch ganz andere zusätzliche Bedürfnisse aufzeigen?
Knaab: Wir sind dankbar für die Zusammenarbeit mit der Region Hannover und dem Land Berlin. Die erste Projektphase hat gezeigt, dass die App auf allen Ebenen dringend benötigt wird. Egal, welcher Akteurin oder welchem Akteur wir die App vorgestellt haben, alle wollen unbedingt an der weiteren Pilotierung beteiligt sein. Das freut uns immens. Die erste Pilotphase hat dazu geführt, dass wir in Zukunft noch enger mit den bestehenden Strukturen zusammenarbeiten werden.
Wir haben von allen Seiten ein sehr positives Feedback bekommen. Das wichtigste Feedback ist aber das der Betroffenen. Aktuell haben wir mit der App schon mehr als 1000 Betroffene erreicht und täglich werden es mehr. Auch sie sind sehr zufrieden und wünschen sich weitere Funktionen, welche wir nun umsetzen. Wir sehen selbstverständlich auch, dass speziell im sozialen Bereich große Personalnot herrscht – nicht nur im Bereich der Fachberatungen und Frauenhäuser. Das macht uns große Sorge. Unser innovatives Projekt trifft auf überlastete Strukturen. Das muss von der Politik im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention dringend und nachhaltig gelöst werden.
Was ist als nächstes geplant?
Knaab: Wir werden die App flächendeckend in mehreren Bundesländern pilotieren und einsetzen. Dies ermöglicht die Förderung des Bundesinnenministeriums. Wir werden weitere technische Funktionen umsetzen, unsere Kooperationen mit Akteurinnen und Akteuren vertiefen, sodass wir noch mehr Betroffene erreichen, egal in welchem Stadium der Beziehung sie sich befinden. Wie schon in den Jahren davor, wird das Projekt umfassend wissenschaftlich begleitet.
Wie sind Sie auf die Idee für die Entwicklung gekommen?
Knaab: Ich selbst war jahrelang in einer gewaltvollen Beziehung. Die Dynamiken dieser sind mir zwar in Phasen selbst aufgefallen, klar benennen konnte ich diese aber erst nach der Trennung und nach langer Recherche zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt. Die Fakten, Statistiken und Studien haben mich zutiefst schockiert. Dass es eine solche App in Deutschland zu dem Zeitpunkt noch nicht gab, hat mich motiviert, meine Idee bei dem Hackathon der Bundesregierung einzureichen. Dort wurde ich unter 42.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewählt, die App im „Solution Enabler Program“-der Bundesregierung für besonders förderwürdige Projekte umzusetzen.
Eine letzte wichtige Frage: Wie finde ich als betroffene Frau die App? Und wie erfahre ich, dass es sie überhaupt gibt?
Knaab: Wir bieten eine geschützte App an, deren Verteilung geheim bleibt. Trotz dieses hohen Schutzes erreichen wir die Betroffenen. Wir werden die App in Zukunft noch niedrigschwelliger verfügbar machen. Ich möchte jede Frau, die das liest und sich vielleicht in diesen Zeilen erkennt oder angesprochen fühlt, ermutigen, auf ihr Bauchgefühl zu hören und sich einer Person, sei es einer Vertrauten oder einer Mitarbeiterin aus den Fachberatungsstellen, anzuvertrauen. Gewalt ist nie okay, weder körperlich noch psychisch, sozial, wirtschaftlich, sexualisiert oder digitalisiert. Mehrere bestehende Organisationen unterstützen bei der Suche nach einer passenden Beratungsstelle und Frauenhäusern in der Nähe, zum Beispiel der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sowie der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser.
Was tut die Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat sich zum Schutz der Frauen vor Gewaltviel vorgenommen. Im kommenden Jahr stehen beispielsweise im Bundesprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ 30 Millionen Euro für den Bau, die Sanierung und den Umbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen zur Verfügung. Sie fördert das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ und hat außerdem die Einrichtung eines Runden Tisches von Bund, Ländern und Kommunen auf den Weg gebracht.
Zitiert nach einer Meldung der Bundesregierung vom 23.11.2023